Streitkultur

“Ich möchte mich nicht streiten. Darf ich gehen?”

Es ist unschön, auf so eine Art von einem wichtigen Thema entbunden zu werden. Zumindest wichtig für mich. Es ist ein Zeichen von Respekt zu fragen, warum denn gerade dieses Thema vom Gegenüber als so wertvoll angesehen wird. Bleibt die Frage aus, so hinterlässt das ein unangenehmes Gefühl. Ja, Probleme sind so persönlich wie die eigenen Gedanken und generell kann sie keiner nachvollziehen. Hier gibt es grob gesagt zwei Wege, die eingeschlagen werden können:

(1) Ich möchte die Probleme anderer nicht ergründen.
(2) Ich möchte die Probleme anderer ergründen.

Für (1) ist nicht viel Arbeit notwendig. Die Kommunikation kommt irgendwann an einen Punkt, an dem man sich nicht vorwärts, vielleicht auch nicht einmal rückwärts bewegt. Aber woher kommt die Motivation, sich nicht auseinandersetzen zu wollen? Woher kommt die Wut, die geschlossene Erwartungshaltung, in den Augen des Gegenübers, wenn man doch danach fragt? Es scheint wie eine Art Automatismus, der vorprogrammiert sagt, dass es hier eine eindeutige Grenze gibt, die nicht überschritten werden darf. Das macht die Frage um so interessanter. Warum ist da eine Grenze? Seit wann ist sie da? Was liegt dahinter? Man selbst sieht diese Grenzen in sich nicht. Man ist gern in dem Glauben, dass alles was vor einem liegt so und nicht anders sein kann. Wissenschaftlich erklärt ist das eine der Grundfunktionen des Gehirns, sich so zu verhalten. Immer Recht zu haben. Immer zu wissen was passiert, und selbst wenn nicht, zu rationalisieren oder Lücken auszufüllen.

Es ist schwer, sich darüber hinweg zu setzen. Die Natur wäre nicht Natur, wenn sie nicht eine gute Rechtfertigung hätte. Trotzdem glaube ich, dass wir mehr sind als nur unsere Natur. Der Grund warum wir denken, spüren, wahrnehmen: unser Bewusstsein. Die Transzendenzfähigkeit des Bewusstseins ist etwas Einmaliges auf dieser Erde. Wir können uns selbst sehen, beobachten, fühlen, erforschen, aber wir können uns auch distanzieren, reflektieren und anpassen. Die Entwicklung des Menschen wird seit Jahrtausenden nicht mehr biologisch, sondern kulturell fortgeführt. Im Laufe der Zeit wurden unzählige Weltanschauungen entwickelt und verworfen. Niemand hätte damals gewusst, wie sich der Mensch zum Rest des Universums heute positioniert. Und jedes Mal nimmt der Mensch diese Anschauung als selbstverständlich an. Im Äußeren ist uns das klar und offensichtlich, aber man selbst gibt sich schwerfällig in der Transformation.

Die große Frage ist , ob es solche Transformationen nicht auch im Inneren geben kann und muss? Wie schwer ist es zu erforschen, wie und wann so eine Transformation benötigt wird? Wie genau sind wir in der Lage, ohne äußere Umstände darauf zu reagieren und zu handeln? Meine Antwort wäre gar nicht. Wir sind nichts ohne die externe Definition, ohne das Leben, ohne andere Personen mit denen wir täglich interagieren, lachen und leiden. Und da sind wir bei (2). Es ist eine großartige Erfahrung, sich von sich selbst zu lösen, und ein offenes Ohr für andere zu haben. Nicht um ihnen einen Rat aufzuzwingen, sondern um ihnen zu helfen, gemeinsam eine umfassendere Denkweise zu erkunden und zu etablieren. Natürlich bedarf das auch einer gehörigen Portion Interesse, Probleme zu verstehen und beleuchten zu können – auch für sich selbst.

Wir wachsen ohne diese Interaktion nicht. Wir haben keine anderen Eindrücke. Wir haben keine Perspektive. Wir können nicht unsere Grenzen erkunden, ohne uns auf andere Menschen einzulassen und sie zu unterstützen, sich selbst besser zu verstehen. Nur so können wir lernen, uns selbst mehr zu schätzen und zu stabilisieren, um im Umkehrschluss noch besser für andere da zu sein. Ein endloser Kreislauf, der nicht unbewusster sein könnte.

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